Während Timo noch darüber nachdenkt, was alles in seinen Schwimmbüddel für das Schweriner Schlossschwimmen hinein kommt, sind wir Samstag früh schon bei der Anmeldung. 8.30 Uhr in der Seebadeanstalt Alt-Ruppin. Diese ist so versteckt, dass sie selbst die große Suchmaschine im Internet nicht findet. Ein absoluter Geheimtipp. 

Es stehen heute 15km Langstrecke auf dem Programm.

Wahlweise stünden auch 10, 5, 2,5 oder 1km den Schwimmern zur Verfügung. Doch wir wollten uns ja herausfordern. Also lang. Das Wetter spielt mit – naja, bis auf den verhassten Wind, der leider aus nördlichen Richtungen – für uns also von vorn. Die Temperaturen sind dieses Jahr eher kühl  – dafür blühen die Algen nicht so sehr. Neopren ist erlaubt, Flossen auch, aber auf 15km sind für uns Flossen wegen der Krampfgefahr keine Option.

 

Die Anmeldungen sind nicht allzu zahlreich, schon komisch – die Wakenitz ist innerhalb von 2 Minuten ausverkauft, Neuruppin ist noch am Starttag offen. Knapp 15 Teilnehmer sind wir über die lange Strecke. Man ist unter sich. Die Anmeldung öffnet pünktlich und dann geht es Schlag auf Schlag. Wir bekommen Kleidungsbeutel und werden mit Sack und Pack um den See herum an das südliche Ufer gefahren – die Beutel reisten anschließend wieder zurück zum Ziel. In Kolonne der Wasserwacht-Bullis. Am Start werden wir zu den verdutzten Einheimischen ausgesetzt, die sich gleich erkundigen, was denn das Spektakel solle.

 

Wir machen uns fertig, schmieren uns dick ein, meine einzige Mitschwimmerin ist sehr mutig, vertraut auf die Aussage, das Wasser habe sicher 20°C. Ich misstraue der Aussage und würde nicht ohne meinen Neo starten. Andreas packt sich auch dick ein. Die Hälfte von uns hat Flossen an, wir Frauen starten ohne. Man kennt sich und ist im Umgang ganz locker. Schon sind die Füße im Wasser und jetzt geht es auch gleich los. Mit am Start, so erfahre ich am Ende auch ein Schwimmer, der sich auf das Channel-Crossing vorbereitet und auf der 10km Strecke sind Anwärter auf die Gibraltarüberquerung und dem Fuerteventura/Lanzaroteschwimmen dabei. Ok, spätestens hier hätten bei Andreas und mir die Warnglocken läuten müssen.

 

Der Wind nimmt zu und ich ahne schon, dass die Sache recht anstrengend wird. Wir starten gemütlich, schwupps sind die Flossenschimmer weg. Jetzt bin ich allein. Bojen gibt es nicht, zumindest nicht auf den ersten 5 Kilometern. Der See ist irgendwie zu überqueren, zwei Stellen sind ausgetonnt, um sicherzustellen, dass wir auch die 15km sicher voll kriegen. Aber das kommt später Hier läuft der langgestreckte Klarwassersee im mehrmaligen Zickzack. Das reinste Orientierungsschwimmen. Ich versuche, einen guten Kurs zu nehmen, aber es ist nicht einfach. Nicht nur die eingeschränkte Sicht gegen die kleinen Wellen, sondern auch die Gegenströmung und die kalten Huschen machen mir das Leben schwer. Ich kenne den See (noch) nicht und es ist schwierig meine Position zu finden.

 

Ich schlucke schon während der ersten 3 Kilometer viel Wasser. Das wird ein harter Tag. Es geht lange im Zickzack um die Kurven, ab und zu kreiseln Versorgungs- und Rettungsboote der Wasserwacht und der DLRG um uns Schwimmer herum. Ich brauche nichts, verpflegen kommt nicht in Frage, ich will schließlich schnell fertig werden. Nachdem die Flossenschwimmer sich abgesetzt haben, überholt mich keiner mehr. Zumindest das ist ein Anhaltspunkt für mich. Nach 5km steigen die 10km-Teilnehmer an einer anderen Badestelle ein, so kann ich 5km gut abschätzen. Aber es dauert ungewöhnlich lange, bis ich diesen Punkt endlich erreicht habe. Zwischendurch habe ich immer mit den Böen zu kämpfen und irgendwie habe ich das Gefühl, nicht recht voran zu kommen.

 

Am linken Uferrand erkenne ich schon Stadtumrisse. Die Karte des Sees habe ich mir eingeprägt, daher weiß ich, dass es hier darum geht, auf von der rechten Seeseite eine rote Boje anzupeilen, dann links abzubiegen, um auf der anderen Seeseite wieder eine Boje zu umrunden und wieder zurück zur rechten Seeseite die Boje zu treffen. Hier sind es dann 10km. Ich kämpfe schon weit vorher mit meiner Motivation, denn die ersten Kilometer haben viel Kraft gekostet. Ich spüre schon Schmerzen in Hand und Schulter, und auch das weite Herausheben des Kopfes zur Orientierung war ungewohnt.

 

Ich kann auf der Kirchturmuhr die Zeit ablesen. Schon 3 Stunden um. Und noch über 5km zu schwimmen. Das wird keine gute Zeit. Da ich aber beim Schwimmen schlecht rechnen kann und ich jetzt beim Zurückschwimmen das Feld hinter mir checken kann, müssen Prognosen erst mal warten. Diese Uferwechsel sind der Scheidepunkt des Wettkampfs. Unterwegs treffe ich meine Verfolgerin, die lacht zwar noch, leidet aber schrecklich unter der Kälte, denn 20°C hat der See vielleicht die ersten 3cm. Darunter ist es von mir geschätzte 18°C kalt. Ich bin leider im Biest-Modus, vollauf mit meiner Selbstmotivation beschäftigt und finde ich keine aufmunternden Worte für meine Mitschwimmerin, was mir jetzt leid tut.

 

Von den anderen Schwimmern fehlt jede Spur. Langsam geht es weiter. In mir spinnen die Gedanken – aufgeben – weitermachen – langsamer schwimmen. Jeden Armschlag zäheln. Der See wehrt sich. Will nicht durchschwommen werden. Wieder am rechten Ufer entlang, es geht in Richtung Brücke. Vorher treibt ein Segelschiff. Kurz nach ihm schmeckt das Wasser nach Wassermelone und Thymian. Es gruselt mich ein wenig, hoffentlich beisse ich nicht gleich auf was ekliges. Vor der Brücke wird es richtig kalt. Das Wasser hier im Schatten hat es in sich. Ich denke an meine Mitschwimmerin. Das wird ohne Neo jetzt hart.

 

Unter der Brücke. Es sind die letzten 5km. "Schnapp Dir den Pokal", denke ich und dieser dünne Motivationsfaden bringt mich voran. Meine Arme sind müde. Das Wasser wird jetzt ruhiger und wärmer. Die Wellen, die vor Neuruppin die Segelboote und Ausflugsdampfer mir um die Ohren gefeuert haben, gibt es hier nicht. Gelbe Boje, orange Boje (<- sollten die nicht "rot" sein?) – jetzt noch einmal quer über den See zur letzten Badestation. Den Startpunkt der 2km Strecke. Ich muss mal 100m Brust schwimmen – Kraul ist einfach nur noch Überwindung. 15km sind es eben nur auf der Ideallinie. Und die habe ich nach eigener Einschätzung nicht getroffen. Es ist wirklich wild hier. Hier liegen jetzt noch drei Bojen vor mir. Noch 2,5 km. Ich mache mich auf den Weg, denn jetzt will ich das Ding auch zuende schwimmen. Doch die letzten beiden Bojen kommen nicht näher. Als ob jemand diese von mir wegzieht. Ich gucke hin, sie werden größer, zwei Wellen und sie sind wieder weiter weg. Sind das schon Halluzinationen?

 

Ich kann rechts schon den Zielbogen sehen. Ab hier kann es nur noch gut werden. Ich drehe mich noch einmal um. Hinter mir kommt der nächste Schwimmer in 300m Entfernung, genug Zeit noch einmal kurz in die Brustlage zu wechseln. Kurz durchschnaufen. Neopren richten. Ich biege um die letzte Boje. Und nehme Anlauf. Ab hier noch 500m zum Ziel. Gemächliches Tempo, hier freue ich mich über das baldige Ende. Was für ein Trip. Ich biege in die Badebucht, am Steg vorbei, dann steige ich aus dem Wasser und – keiner da. "Hallo?!" "Huhu" – "ich wäre dann angekommen…." Ich piepe durch die Zielschranke und weiß gar nicht, wohin… Ich schnappe nach Luft, wanke an eine Bierzeltgarnitur mit Thermoskannen. Von irgendwoher kommt "Nimm die blaue Kanne, da ist Tee" Ok, mache ich. Immer noch weiß ich nicht, was jetzt kommt. Ich entdecke meine Mitschwimmerin – schon angezogen. Verwirrt verstehe ich gar nicht, was hier los ist. Sie ist enttäuscht, hat abgebrochen. War zu kalt. Gleich, nachdem wir uns im See getroffen haben.

 

Meine Zielzeit liegt weit über meiner Einschätzung. Ich bin froh, das Schwimmen überstanden zu haben – erster Platz durch Durchhalten (immerhin!), aber nicht glücklich über das Rennen. So mies habe ich mich lange nicht gefühlt. Von Andreas keine Spur. Jetzt endlich findet der Ansager meinen Namen und kündigt mich an. Dann wird zur Siegerehrung gerufen. Bis ich kapiert habe, dass schon alle im Bus sitzen und auf mich warten – ich drücke mir noch schnell ne Banane in den Mund, schnappe mir meinen Kleiderbeutel und springe noch nicht umgezogen im Neo in den Transportbus.

 

Wir werden nach Neuruppin an die 5km Einstiegsstelle gebracht, hier kommen wir Schwimmer endlich ins Gespräch, ich als Einzige noch im Anzug. Nah am Sport eben. Ich ziehe mir kurz noch ein T-Shirt über, bevor ich aufs Treppchen gerufen wurde. Heute mal ohne Räucheraal, aber mit einem Pokal und einer Medaille. Nach ein paar Minuten ist alles vorbei. Ich fahre mit einem lieben Fahrdienst wieder zurück zum Ziel. Da treffe ich auf einen aufgebrachten Andreas.

 

Er wurde kurz vor dem Ziel vom Besenboot eingesammelt. Auf den letzten 500m. Zu diesem Wettkampf gibt es ein 6 Stunden-Limit. Es war natürlich sehr schade, dass die Organisatoren ihn nicht aus Kulanz durchschwimmen haben lassen, waren es doch nur noch 5-10 Minuten zum Ziel.

 

Als dann das Besenboot die Schwimmer absetzte, suchte Andreas mich. Aber ich war ja zur selben Zeit schon bei der Siegerehrung. Das musste Andreas erst in Erfahrung bringen. Man fand eine Badekappe, die meiner sehr ähnlich war, und schon war die Aufregung SEHR groß. Am Ende hatte mein Kleiderbüddel, den ich geistesgegenwärtig aus dem Umkleidezelt zur Siegerehrung mitgenommen habe, die Sache geklärt. Ob dem Besitzer der herrenlosen Badekappe noch einmal auf die Spur gekommen ist, wissen wir nicht.

 

Wir waren sehr glücklich, uns gesund nach diesem außerordentlich harten Rennen wieder zu sehen. Den See habe ich besiegt, aber nur knapp. Die Schwimmer waren alle müde und am Ende haben von den 13 Teilnehmern nur 50% durchgeschwommen. Die anderen wurden aus dem See gefischt. Ob es dieses Jahr die harten Bedingungen waren, oder ob das hier immer so ist, werde ich bestimmt beim nächsten Mal herausfinden. Dann bin ich aber im Bilde und weiß, dass gegen dieses Rennen die Wakenitz ein Ponyhof ist.

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